Corona-Überdruss? Das wollen Leser jetzt noch wissen.

Lesedauer: circa 5 Minuten

Trotz stark gesunkener Neuinfektionen und umfangreicher Öffnungen dominiert Corona noch immer unseren Alltag — und die mediale Berichterstattung. Aber haben die Leser das Thema nicht langsam satt? Nein, sagen unsere Lesewerte. Wir haben uns wieder angeschaut, welche Themen mit und ohne Corona aktuell funktionieren — und in einer Konferenz bei Chefredakteuren mehrerer Verlage nachgefragt.

CORONA BESCHÄFTIGT LESER WEITER

“Corona, das kann ich nicht mehr hören”. Was vielen Verlagen über soziale Medien gespiegelt wird, widerlegen die aktuellen Lesewert-Zahlen deutlich. Während die Anzahl der Artikel über Corona in den gemessenen Ausgaben im Verhältnis zu anderen Themen tendenziell abgenommen hat, liegen die Lesewerte von Corona-Artikeln weiterhin durchweg über dem Durchschnitt von Artikeln ohne Corona-Schwerpunkt.

Die Leser sind also weiterhin stark interessiert an Geschichten, die mit Corona zu tun haben. Das verwundert kaum, greift die Pandemie doch weiterhin entscheidend in den Alltag der Menschen ein und bestimmt sämtliche Lebensbereiche mehr oder minder stark. Corona-Themen funktionieren also weiterhin — wenn sie lesernah aufbereitet sind und die Konsumenten dort abholen, wo es um persönliche Relevanz und emotionale Berührungspunkte geht. Desweiteren sollte der Diskurs über Corona-Maßnahmen und Folgen in seinem vollen Umfang von Redakteuren vor Ort abgebildet werden — dienen gut recherchierte Informationen doch gerade in Zeiten von Fake News, Demonstrationen und vermehrt hitzigen Diskussionen zur aufgeklärten Meinungsbildung.

Was aber wird zur Zeit besonders gut gelesen, womit treffen Redaktionen den Nerv ihrer Leser?

Corona: Freizeit und Shopping

Auf ein kühles Getränk im Biergarten treffen, mit der Familie in den Zoo und in der Innenstadt im Lieblingsladen eine kurze Sommerhose besorgen: Was lange nicht ging, ist nun unter gewissen Einschränkungen wieder möglich — und bietet auch der Redaktion einen erfreulichen Anlass zur Berichterstattung. Begleiten Sie die Öffnung von Gaststätten, Freizeiteinrichtungen und Shopping-Malls intensiv, schauen Sie auch in den ersten Wochen immer mal wieder vorbei.

Legen Sie dabei auch den Fokus auf die Betreiber — wenn sich hier eine emotionale und persönliche Geschichte erzählen lässt. Ob Ärger mit Versicherungen, drastische Reduzierung der Umsätze durch weniger Kunden oder die Freude an vielen Reservierungen. Hier wartet Stoff zum Schreiben mit hohem Lesewert-Potential.

DIE SCHUL- UND KITADEBATTE GEHT WEITER

“Mit Schulthemen können wir meistens nicht mehr punkten”, sagt Carsten Heil, stellvertretender Chefredakteur der Neuen Westfälischen. Der Grund: Die Schulen seien intern und extern gut vernetzt und verfügten über schnelle Kommunikationskanäle, etwa per WhatsApp oder Mail. Dieser Trend lässt sich auch bei Lesewert erkennen. Was jedoch besonders in Bezug auf Corona gut funktioniert, sind Bildungsthemen, die in die Gesellschaft hinein wirken. Gemeint sind vor allem Themen, die Debatten anstoßen, die auf einer generellen Ebene geführt werden.

Heiß debattiert wird momentan etwa die Maskenpflicht im Schulgebäude, aber auch der Corona-bedingte Blockunterricht und die damit andauernden Herausforderungen für die Eltern schulpflichtiger Kinder. Gut gelesen werden Artikel zu der Frage, wie hoch die Ansteckungsgefahr bei Kindern ist, was auch die Kontroverse um die Studienveröffentlichung des Virologen Christian Drosten zu diesem Thema verdeutlicht hat.

KULTUR UND WIRTSCHAFT

Die Kultur als Zielgruppenressort und die Wirtschaft als Potential-Ressort haben oft mit unterdurchschnittlichen Lesewerten zu kämpfen, weil sich kleinere Zielgruppen für sie interessieren. Doch beide blühten in der Corona-Zeit regelrecht auf. Das ist auch weiterhin der Fall. Achten Sie in der Kulturberichterstattung auf persönliche und emotionale Geschichten, erzählen Sie von Schwierigkeiten und Schicksalen der Betreiber von Kulturstätten und Veranstaltern in Ihrer Region.

Im Wirtschaftsressort liegt das Leserinteresse laut unseren Zahlen klar auf den großen Betrieben und ihrer Personalpolitik. Verständlich: Opel, Bosch, Schäffler und Co. sind die Motoren vieler Wirtschaftsregionen, von ihnen hängt die ökonomische Situation ganzer Städte und die Sicherheit der Arbeitsplätze ab. Schauen Sie also genau hin: Wo sind die Menschen in Kurzarbeit, planen die Unternehmen vielleicht sogar Entlassungen? Oder ist die Firma sogar wieder im Aufschwung?

SPORT: AN DER SPITZE ODER IN DIE BREITE

Die Fitnessstudios sind wieder offen. Wie im Themenfeld Gastronomie und Ausflüge gewinnen Sie auch hier Leser, wenn Sie die Öffnung und ihre Folgen abbilden. Im Breitensport gilt das insbesondere für Vereine. Zwar darf unter strengen Hygienemaßnahmen wieder außen trainiert werden, doch die harten Regeln schränken den Spaß, gemeinsam Bälle zu kicken, doch erheblich ein. Was macht das mit den Ehrenamtlichen, was mit den vielen Kindern in Sportvereinen, die sich noch immer nicht so austoben können wie gewohnt?

Und was ist eigentlich mit dem Amateur- und Profisport? Die Bundesliga läuft wieder und das darf ruhig in die Berichterstattung einfließen. Doch hohe Lesewerte konnten wir vor allem dort ausmachen, wo Top-Vereine in der unmittelbaren Region ansässig — das hat sich auch zu Corona-Zeiten nicht geändert. “Wir haben unseren Sportumfang im Blatt erheblich reduziert”, berichtet Benjamin Piel, Chefredakteur des Mindener Tageblatts. “Unsere erste Sportseite befasst sich jetzt vor allem mit menschelnden Geschichten.” Top-Vereine, Persönliches und Corona als Gesundheitsthema — eine empfehlenswerte Mischung, um viele Leser auf die Sportseiten zu locken.

ABSEITS VON CORONA: MUSS, MUSS, MUSS

Der Klimawandel ist ein wichtiges Thema, aber leider eines, bei dem Sie derzeit nicht auf hohe Lesewerte hoffen können. Seit Corona kommen Artikel hierzu bei Weitem nicht mehr so gut an wie zuvor. Stattdessen rückt jetzt mit weitreichenden Lockerungen im Frühsommer das Stadt- und Landschaftsbild wieder mehr in den Vordergrund. Auch Erdbeeren zum Selberpflücken und die Folgen des trockenen Frühjahrs zogen viele Leser in Texte.

Muss-Themen: Mobilität, Entsorgung, Ernährung, Sicherheit, Wohnen, Job und Geld: Die von der Lesewert-Forschung definierten alltagsrelevanten Themen, die Lesern praktischen Nutzwert für das eigene Leben bieten, sind auch in der dritten Phase der Corona-Zeit weiterhin der Garant, um bei den Abonnenten und Käufern Ihrer Regionalzeitung auf hohes Interesse zu stoßen. Themenplanung wird jetzt wieder umso wichtiger, denn die Masse an Informationen für die Corona-Berichterstattung wird mit geringeren Infektionszahlen zunehmend kleiner. Die Leser wollen jedoch weiter das Gefühl haben, dass die Zeitung relevant und damit unverzichtbar für sie ist. Gute, fundierte Planung ist jetzt das A und O!

WIE MACHEN WIR WEITER?

“Corona hat die Prozesse beschleunigt, die eh schon im Gang waren”. Mit dieser Aussage erhält Friedrich Roeingh, Chefredakteur der Mainzer Allgemeinen Zeitung, viel Zustimmung. Im aktuellen Fokus der Chefredakteure: Die Frage, wie künftig genügend Kapazitäten geschaffen werden, um weiterhin gute Geschichten zu erzählen — und bei Themen von vergleichsweise geringem Leserinteresse wie Spielberichterstattung, Terminkalender und Vereinsseiten klug redaktionelle Kraft zu sparen, ohne sie komplett aus der Zeitung zu verbannen. Ob Sonderausgaben oder neue Online-Portale: Ideen zur Entlastung der Redaktionen gibt es viele. Deutlich wird aber auch: Nicht immer ist es einfach, Altes und auch von einem kleinen Teil der Leser Liebgewonnenes loszulassen. Doch: “Das Dümmste wäre, zum Status von vor Corona zurückzukehren”, resümiert Kai Gohlke, Chefredakteur des Neuen Tag in Weiden. Denn der Zwang zur schnellen Transformation habe letztlich nur Positives bewirkt, auch wenn er viele Redaktionen fast schon “überfahren” habe.

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